Die ritterlichen Turnierezurück
Die ritterlichen Turniere
Die Turniere wurzeln in dem geschichtlichen Umstande, daß dadurch das
militärische Bedürfnis de fränkischen Monarchie der alte germanische
Fußheerbann fortschreitend umgebildet wurde in ein Reiter- oder
Ritterheer. Schon aus den älteren Jahrhunderten des mittelalterlichen
Imperiums hören wir hier und da von festlichem Reiterspiel. Allerdings nur
spärlich und in knappen Worten.Die Quellen dieser Zeit werden so gut wie
ausschließlich von Geistlichen und aus deren Interessenkreisen heraus
geschrieben. Deshalb dürfen wir auch annehmen, daß es solche Übungen und
Veranstaltungen doch häufiger gegeben haben wird, als Anlaß gefunden
wurde, davon zu berichten. Die eigentlich sportmäßige Ausbildung beginnt
mit dem XII. Jahrhundert, und nun auch das vielfältige Erzählen und Sagen.
Hier war die Zeit, da alles Ritterwesen durch den allgemeinen Umschwung
von asketisch-weltverneinender Gesinnung zu kraftbewußten Leben und durch
die Gunst eines westlich zielvollen Kaisertums sich reich und farbig
entfaltete.
Nun erblühten im ganzen abendländischen Europa weltliche, in der
Laiensprache geschriebene Literaturen, die sich mit allem bunten und
phantastischen Inhalt dieses neuen höfischweltlichen und rittermäßigen
Treibens erfüllten. In der besonderen deutschen Geschichte vollzog sich
die Ablösung der bisherigen kirchlich-lateinischen Kultur durch eine
weltlich-französische. Die deutsche Bildung fühlt nun einmal in einer
Weise, die es keinen Zweck hat zu leugnen, sich am wohlsten und
sichersten, wenn sie sich auf ein anerkanntes fremdes Vorbild stützen und
nach diesem richten kann. So verstehen wir es, wenn die ritterliche Sitte
in allem sich französische Formen zu geben, coutois zu sein bestrebt ist,
und wenn uns in besonderen in der Ausbildung der ritterlichen Spiele das
französische Muster und die zurechtgemachten wälschen Benennungen
begegnen. Ist doch der Ausdruck "Turnier" so gut französisch wie alles
einzelne, das dazu gehört.
Ausgang des Turnierwesens bleibt, wie gesagt, die ernsthafte Vorübung für
den Krieg. Sie umfaßt die Probe sowohl auf das Können des Einzelnen, wie
auf die Ordnung und Gesamtdisziplin der im dichten Anprall aufeinander
stoßenden Reiterscharen. Der Kampf zweier einzelner Reiter, ihr Anrennen
gegeneinander ist der Tjost; dagegen ist Buhurt das Manövieren der Schar,
das zunächst ohne eine aufgestellte feindliche Abteilung geübt wird. Auch
diese feinere, kunstmäßigere Art des einseitigen Buhurts ist oftmals bei
Festlichkeiten geübt worden. Hauptsächlich im staufischen Zeitalter, in
der Zeit der großen Epen, welche denn auch diese Bilder in ihre
Erzählungen einflechten. Aber das rechte Turnier im engeren Sinne, so wie
es sich spätmittelalterlich entwickelt hat, das ist die zusammenfassende
Steigerung von Tjostieren Einzelner zu dem Anreiten und Kämpfen zweier
gegeneinander gewachsener Scharen, also das glänzende, regelhaft
ausgestattete Friedensbild eines wirklichen Reitergefechtes.
In ihrem ganzen Wesen nach war die staufische Zeit darauf gestimmt, aus
allen, auch den ensteren Dingen, immer zugleich ein Fest zu gewinnen. Ein
Lebengefühl sondergleichen, ein wahrhafter Taumel weltlicher Lust und
Freude geht durch diese Zeit, die den jahrhundertelangen Bann der
hierarchischen Dumpfheit, der Verzicht auf alle freien Lebensbetätigung
abgeworfen hat und die nach so tiefem Ausruhen aller frohen Regungen nun
diesen um so stärker und triumphierender sich überläßt. Diesen Sinn
ermuntert, nährt und beschäftigt das staufische Kaisertum, das im
weiterwährenden Kampfe gegen die fremde Obergewalt der kirchlichen Kräfte
verharren muß. Mit voller Absicht pflegt sie den neuen
weltlich-ritterlichen Sinn und mit vollem, reichem Erfolge. Bis dahin
hatte das Kaisertum, außer gegen die Kirche, auch gegen die heimischen
fürstlichen Gewalten und deren bewaffnete Aufgebote zu rigen gehabt. Nun,
indem es über alle anderen Zeitgedanken das Standesbewußtsein eines
umfassenden und einigenden Rittertums erhöhen hilft, zieht es zum
erstenmal wieder nach langer Zeit die ganze Lehnswelt unter die direkt
empfundene kaiserliche Führung zu sich herüber.
Am durchschlagendsten müssen eine solche Politik und Psychologie Friedrich
Barbarossas und seiner Sohnes Heinrich VI. ihre Wirkung auf die einfachen
Ritter üben. Für sie, die ehemaligen berittenen Dienstknechte, ist eine
ganz andere Lebenswelt aufgegangen, seit das neue Standesbewußtsein ihnen
vergönnt, zum Kreise des Lehnsadels, wenn auch in unterster Stufe, zu
gehören, seit sie sich dazu erheben dürfen, den Kaiser selber als den
ersten von ihnen allen zu betrachten. Und gar, seit sie sehen, wie der in
Italien ordnende und umformende Kaiser den erprobtesten seiner
staufischenRitter, einfachen Ministerialien, die weder Grafen noch
Freiherren sind, ganze Markgrafschaften und Herzogtümer zu verwalten gibt.
ein jeder kleine Reisige hält sich in seinen letzten Gedanken wie ein
direkter staufischer Ministrerial, auch wenn sein besonderer Dienstherr
dieser oder jener Reichsfürst oder Graf ist. Der Kaiser ist schlechtweg
der Herr aller Ritter, und keinem Stande gehört wie diesem die Welt,
stehen so alle Möglichkeiten offen; nur tapfer und voll aufstrebender
Kühnheit braucht man zu sein, dann winken Ehren und Glück und Lohn, dann
muß sich zeigen, daß immer, so sagt das Sprichwort dieser Zeit, "wer ein
goldenes Roß am Zügel hält, es schon besitzt".
Das ist dieses Stauferjahrhundert – rund gesagt von 1150 bis 1250 – mit
seiner sich überbietenden ritterlichen Wagelust, seiner bunten
Aventiurefahrt, seinem heißen Begehren nach Hervortun und Auszeichnung,
und daher auch dem ehrgeizigen Wettsinn von Kampfspiel und Turnier. Dann
aber kommt eine andere Zeit. Das Kaisertum der Staufer steigt ins Grab,
und nach dem Interregnum ist die lebendige kaiserliche Spitze eines sich
einheitlich, ungeschieden fühlenden Rittertums ein für allemal dahin.
Desto bedachtsamer sorgt die Landesherrlichkeit der einzelnen Fürsten,
ihre Ritter in geengtem und gänzlich phantasielosem Gehorsam zu halten.
Jeder einzelne Ritter spürt es, wie der alte Mittelpunkt der Freigebigkeit
und des Karrieremachens ersatzlos verloren ist. Lebensmühsal und Sorge,
hochgebürdete Verpflichtungen und Schulden gehen in den Burgen der Ritter
um, Glück und Gedeihlichkeit haben sich von dem landsässigen Adel
abgewandt. Die sind jetzt vielmehr bei den Städten, die gleichfalls, wie
die Fürsten, erst durch den Untergang des höfisch-staufischen Imperiums so
machtvoll und zukunftsicher geworden sind. Der Bürger, auf den der Ritter
mürrisch herabsieht, der hat in vollen Maßen, was diesem fehlt; vor dem
liegt nunmehr die verwandelte Welt offen, jetzt sieht der die Länder und
befiehlt wie ein großer Herr, hat Reichtum und Gewinn. Bei ihm in der
Truhe dauert allzumeist der mit schwerem Zins belastete Schuldzettel des
Ritters, und wenn der Städter es braucht, so schätzt sich der trotzig
tuende Ritter noch heimlich froh, unter dem Fähnlein der Stadt zu reiten.
Aber das Belustigende dieser sozialen Wandlung ist, der reiche Bürger
möchte nun am liebsten den Ritter spielen, über den er doch höhnt und
lacht. Der Deutsche ist einmal kein Demokrat. Sobald er emporkommt, als
einzelner oder als Stand, streift er die geringere Haut ab, will von
nichts weniger als von allgemeiner Gleichheit wissen und tut vielmehr
genau wie die Schichten, die bisher für ihn die oberen waren. Die
Geschlechter oder Patrizier in den spätmittelalterlichen Städten sind wohl
teilweise, aber keineswegs alle, ursprüngliche Ritter, die vorzeiten unter
den Bürgern ansässig geworden. Im ganzen sind sie eine eigene, aus den
städtischen Tatsächlichkeiten, nämlich aus den Ratsfamilien
zurechtgewachsene Schicht. Aber nun haben sie ihre Festhäuser, so
stattlich wie nur je ein Palas in den alten Fürstenburgen war, und die
Geschlechtersöhne halten eifrig ihre "Grale", wie sie ihre Feierlichkeiten
und städtischen Turniere – unter sich – benennen. Gerade sie, während der
Ritter verbauert und nur in Ausnahmen lesen und schreiben kann, lesen
jetzt die ritterlichen "Aventiuren" und "Romane" der höfischen Zeit und
lassen sich diese Handschriften von städtischen Meistern der Kunst mit
Miniaturbildern auszieren. Sie selber dünken sich jetzt den reichen König
Artus und die Tafelrunde geworden, und weithin im Osten bis Thorn und
Danzig nennen sie ihre Kasinos direkt den Artushof.
Nur an eines kommen sie doch nicht recht heran, nämlich an die großen
öffentlichen Turniere der älteren Kreise. Natürlich versuchen sie es. Aber
hierin sind Kaiser, Landesfürsten und Herrenadel einig, hierin bleiben sie
schwierig und unzugänglich, so klug sie sonst verhüten müssen, daß die
Stadtherren ihrerseits zugeknöpft werden, nämlich mit ihrer Tasche. Wohl
lesen wir in städtischen Chroniken von Turnieren einzelner, den Patriziern
verpflichteter Fürsten mit deren Söhnen. Wäre solches
Gelegenheitsturnieren mit den reichen Städtern nicht eingerissen, so
hätten die alten Kreise auch keine Gegenmaßnahmen getroffen. Zu diesen
gehört es, daß sich erstlich im XV. Jahrhundert zahlreiche
Turniergesellschaften des Landadels bildeten, unter mannigfaltigen, von
irgend einem Abzeichen genommenen Namen. Sie waren ausgedrücklich zu dem
Zweck organisiert, den Turnieren wieder einen exklusiveren charakter zu
geben und auf strenge Ahnenprüfung zum Erweis der Turnierfähigkeit zu
halten. Ferner wurden bei Gelegenheit größerer Adelsfeste, wo zahlreiche
Fürsten anwesend waren, Verabredungen und Bestimmungen getroffen, wie 1481
auf einem Turnier zu Heidelberg, wo die pfälzischen Kurfürsten
residierten: daß niemand, der irgendwo Stadtbürgerrechte habe, zum Turnier
zugelassen werde, wenn er sein Bürgerrecht nicht zuvor aufsage; wenn er
dieses dann nachträglich wieder aufnähme, so habe er für künftig seine
Turnierfähigkeit dauernd verwirkt. Die Turniere des Kaisers und der
Fürsten sollen dem hohen Adel und den um die Höfe gruppierten burgsässigen
Rittern vorbehalten bleiben; um ihretwillen wird ein Querstrich durch die
soziale Gliederung hindurchgezogen, der nicht ganz dem sonstigen Verhalten
entspricht, indem er radikal nach Land und Stadt unterscheidet. Offenbar
war ein wesentlicher und kein übler Beweggrund auch der, daß man eben das
viele Geld fernhalten wollte, welches sonst nicht bloß die selbständig
auftretenden Ritter, sondern am Ende sogar die veranstaltenden und
mittuenden großen Herren überboten haben würde. Aber der Kampf gegen die
Tatsächlichkeiten bleibt immer ein schwieriger, auf die Dauer
aussichtloser. Als im XVI. Jahrhundert die hochgeborenen Herren sich
glücklich priesen, eine Fuggerin oder Welserin zur Ehe zu erlangen und
schon damals die Wappenschilder aus bürgerlichen Mitgiften vergoldet
wurden, da war es nicht mehr möglich, bei den zu diesen Hochzeiten
veranstalteten Turnieren die engverkettete Gesippschaft der
Patrizierfamilien fernzuhalten.
Ihre späte Blütezeit erreichen die Turniere unter dem Kaiser Maximilian.
Aus dieser Zeit kennen wir sie auch am besten, können in all die subtilen
Differenzierungen hineinsehen, die sich allmählich herausgebildet hatten.
Gerade diese, so verschollen sie uns heute sind, wurden zu jener Zeit
hochwichtig genommen und waren den zugehörigen Kreisen des Turniersports
genau so eingeprägt, wie etwa ein neuerer Verbindungstudent mit
Mensurpraxis und mit Farben und Zirkeln Bescheid weiß. Denn reiner Sport,
und zwar sowohl Prunksport wie Gewinnsport, war nun längst das ganze
Turnierwesen geworden. Mit der sachlich aufgefaßten Waffenübung für den
Krieg hatte es gar nicht mehr zu tun. Im Gegenteil: eben durch die allzu
einseitige Ausbildung für das Turnier sind verschiedene mit Rittern
geführte Feldzüge jämmerlich zuschanden geworden, überall dann, sobald
ihnen ein Feind gegenübertrat, der. wie die Eidgenossen oder die Osmanen,
nicht gleichfalls an die beschränkte und vielbehinderte Kampfweise der
Ritter gebunden war. Das Turnierwesen hat den erheblichsten Anteil daran,
daß von der Zeit Maximilians ab das alte Rittertum überhaupt beruflos
ward, daß es mehr denn je in die sorgenvollste Lage von allen Ständen
geriet und daß der große Krieg so gut wie gänzlich an die neuen
Waffengattungen überging. Man hat Maximilian I. den letzten Ritter
genannt, und er ist dies auch mit dem phantasievollen und dekorativenn
Teil seines Wesens; wenn man aber diesen vielspältigen Kaiser in seiner
tüchtigeren, moderneren und wichtigeren Bedeutung bezeichnen will, so
steht er gerade im Gegenteil als der Durchbildner der Landsknechtstums in
der deutschen Geschichte, als der erste königliche Soldat.
Mit besonderem Nachdruck möchten wir alle kulturgeschichtlich sich
interessierenden Freunde des Turnierwesens aufmerksam machen auf die
schönen authentischen Bildermaterialien nebst wissenschaftlichen Text,
welche seit Jahrzehnten in dem Verlag von Heinrich Keller in Frankfurt
erschienen und höchst geeignet sind, eine Zierde vornehmer
Privatbibliotheken zu bildem. Darin gehört vor allen Dingen Hans
Burgkmairs (des jüngeren) Turnierbuch, ein koloriertes Pracht-Manuskript
im Besitz des Fürsten von Hohenzollern, das der vielverdiente, kürzlich im
hohem Alter gestorbene v. Hefner-Alteneck in Kupferstich und sorgfältiger
farbiger Handmalerei1853 herausgeben hat. Ferner das mittelalterliche
Hausbuch, wie es mit gutem neuen Titel bezeichnet wird, aus dem Besitz des
fürstlichen Hauses Waldburg-Wolfegg, eine schöne Handschrift des XV.
Jahrhunderts, worin mit zeitgenössischem Text und stattlichen Bildern
ungefähr alles behandelt wird, was eben zu Kultur und Praxis ritterlicher
Hauskunde und Lebensführung in jene Zeit gehörte, von Latwergen und
Rezepturen bis zur Büchsenmeisterei. Sein Herausgeber (1887) ist
Essenwein, der vieltätige frühere Direktor des Germanischen Museums.
Essenwein hat auch den großen Holzschnitt des Hans Tirol herausgegeben
(1887), worin die Belehnung König Ferndinands I. mit den österreichischen
Erblanden durch seinen Bruder Kaiser Karl V., 1530 auf dem Felde bei
Augsburg, nebst den bei dieser Gelegenheit gehaltenen Kampfspielen und
Turnieren dargestellt ist. Endlich sei ergänzend auf das letzte
Hefner-Altenecksche Werk hingewiesen: Waffen, das 1903 wie alles genannte
gleichfalls bei Heinrich Keller, erschienen ist. Zu diesen Materialien
gesellen sich dann noch mancherlei Einzelblätter der zeichnenden und
reprodzierenden Künste.Zwar in bildlicher Beziehung werden unsere Quellen
erst reichlich zur Zeit der Turnierpflege unter Maximilian. Es war dies
eben die Zeit, da selbständig eine von den Bestellungen andächtiger und
frommer Stifter, also von dem kirchlichen und legendarischen
Darstellungskreise sich ablösende Kunst erblühte und, weil sie weltlich
auf eigenen Füßen stehen wollte, entsprechend naxh weltlichem Brote suchen
gehen mußte. Das taten diese Augsburger und sonstigen Meister auf die
Weise, daß sie fürstlichen Teilnehmern bedeutender Turniere ihre
handschriftlichen und handgemalten Prachtdarstellungen der betreffenden
Festlichkeit oder auch der verschiedenen Gattungen des Turnierens widmend
überreichten, mit dem Ziel einer anständigen "Verehrung", die im Fall der
Annahme vorausgesetzt werden konnte.
Zu Einführung für heutige Leser und Betrachter dieser Prachtwerke der
deutschen Reanissance erscheint es wichtig, zunächst ein Bild des
Turnierwesens in ganzen zu geben und die geschichtlichen Züge darin
deutlich zu machen.
Im XII. Jahrhundert finden wir die großen höfischen Festspiele in ihren
hauptsächlichen Formen bereits geregelt, und zwar so, daß Formen und
Bedingungen bei den verschiedenen westlichen Nationen die ungefähr
gleichen, nämlich die französischen, waren.Ein Turnier kam dadurch
zustande, daß ein großer Herr brieflich oder durch mündliche Botenmeldung
einlud, die erheblichen Kosten auf sich nahm und Preise aussetzte. Die
Märchen in den Volksbüchern und die Dichter erzählen dann wohl, wie des
Königs holdseliges Töchterlein den Preis mit ihrer Hand und natürlich mit
dem Königreich gebildet habe, oder in anderen Fällen, daß ein Kuß der
allerschönsten Königin oder Prinzessin der süße Lohn des Siegers gewesen
sei. In der geschichtlichen Wirklichkeit begegnen statt dessen schöne
Falken oder Windhunde, seltene Tiere, ein Gürtel, eine Tasche, oder auch
Preise, die noch deutlicher reiner Ehrenpreis sind, etwa ein Kranz, den
vornehme Hand geflochten hat. Neben solchen Zierlichkeiten nimmt es sich
recht seltsam aus, aber paßt darum nicht minder zu dieser verkünstelten
und französelnden Zeit mit ihrem beständigen Durcheinander von
überzärteltem Schmachten und begehrlicher Sinnlichkeit, wenn schlankweg
eine schöne hörige Dirne für den Sieger ausgesetzt wird. Derlei mag
vielleicht in Vermengung mit jenem Kränzen den immer idealisierenden und
immer am alleranständigsten denkenden Volksdichtungen Anlaß zu dem
Erzählen von den Königstöchtern gegeben haben, die der Sieger erringt. Die
nüchterne Prosa des Geldes ward also bei diesen Preisen vermieden; sie kam
aber anderweitig zu ihrem Recht. Die Teilnehmer ihrerseits hatten ein nach
ihrem Range abgestuftes Einkaufsgeld als Kostenbeitrag zu entrichten. Z.
B. zahlen nach König Richard Löwenherz` Festsetzung in England am Ende des
XII. Jahrhunderts die Grafen zwanzig Mark Silbers, die Ritter mit
allodialem Eigengut vier und endlich die armen Ritter, die nur Dienstlehn
haben, zwei. Bei derart beträchtlichen Einsätzen ahnt der Leser schon die
Wahrscheinlichkeit eines materiellen Gewinns. Er bestand darin, daß dem
Sieger Roß und Rüstung des Überwundenen zufielen oder zu anderen Malen
auch wohl der Besiegte in leiblicher Person, der sich dann durch Lösegeld
freikaufen mußte; wenn er das nicht konnte, so durfte er sich doch darauf
verlassen, daß es mit saurer Miene sein Lehnsherr für ihn tat.
Ob diese schwere Buße des Unterliegenden von Anfang an dazugehört hat,
wissen wir nicht genau. Denkbar wäre es wohl; sie würde nur jener
naivkonsequenten Denkweise – wer unterliegt, hat verspielt – entsprechen,
die allgemein durch die alten Rechtsanschauungen geht und die, abgesehen
vom gerichtlichen Zweikampf, auch zum Ausdruck kommt durch die Tötung der
Freier im Epos und im Märchen, wenn sie ihre Probe unglücklich bestehen.
Etwas für sich ist eine Erscheinung, die sich kulturgeschichtlich fast
immer aus dem Sport entwickelt, sowohl aus dem althellischen und
römischen, wie aus dem ganz modernen: daß relativ früh aus dem recht
Turnierwesen eine Gattung von Spezialisten entsteht, die dasselbe zum
gewinnbringenden Lebensberuf machen und als rastlose Kämpen von einem
Festplatz zum andern ziehen. Die Redewendung von den Handwerksburschen,
die sich von Ort zu Ort "fechten", hängt mit dem gelinden Spott über diese
reisenden Turnierritter von Beruf noch zusammen. Aus der Buße und Lösung
des Besiegten erklärt es sich ferner, wenn wir die Turnierritter es darauf
anlegen sehen, mit möglichst vornehmen Herren stechen zu dürfen und diese
zu Fall zu bringen. Gar den Herrn König recht königlich zahlen zu lassen,
daraus macht man sich selbstverständlich keine Bedenken seinerer
Selbstachtung in einer Zeit, die so offenherzig auch die klingenden
Geschenke hoher süßer Frauenliebe und vieledler milder Herrinnen preist.
des Königs Mißgeschick im Turnier wird daher von den Chroniken mit
geziemtem Vergnügnung erzählt, und die bildlichen Schilderungen versäumen
nicht, das Ereignis mit einer Plastik darzustellen, um welche die
neuzeitlichen, photographischen Tageskultur gewidmeten
Unterhaltungsblätter kummervollervollen Neid empfinden müssen.
Aber wie alles seine Überwindungsform in sich selbst trägt, so ergibt sich
ebenso leicht der starke Impuls dieser ursprünglichen Naturen eine
unbekümmerte und gefallsüchtige Generosität, die man heute in solchem Maße
höchstens noch bei geringeren Leuten und Verliebten findet.Mancher, der es
gar nicht nötig hatte, verzichtete hochmütig auf Beute und Lösung eines
gleichgestellten Gegners oder warf sie mit lachender Geste den Spielleuten
hin. Und wiederum gab es jene Spezies von Romanhelden mit den ewig
rosenfarbenen Herzen, die den Besiegten ziervoll vor die Dame ihrer
heimlichen oder auch unheimlichen Gedanken brachten, damit sie die Lösung
hinnehme oder allenfalls den großmütigen Verzicht ausspreche. Die Damen
aber saßen mit erwartungsvoll geröteten Wangen und "spielenden Augen" da
und kochten in ihren Herzen vor Enttäuschung und Ärger, wenn einer Rivalin
in Schönheit und Bewunderung ein derartiger Triumph in den schoß geworfen
wurde.
Als Turniersport bestimmt wurde seit dem XII. Jahrhundert, gerade wie für
Reichstage und sonstige Versammlungen auch, immer schon eine Stadt, also
kein ländlicher Pfalzort mehr. Nur die eigentlichen Festlichkeiten wurden
draußen auf dem grünen Plan abgehalten und dort die nötigen Zelte und
Tribünen errichtet. Auf die empfangene Ansage zogen Fürsten und große
Herren mit ihren Rittern, Edelknechten, Knappen, Pagen und sonstigem
Gefolge herbei und pflanzten vor ihre Herberge in der Stadt ihr
Wappenbanner auf. Aber auch sonst kam viel Volk von auswärts, Kaufleute,
Budenhändler und Geschäftemacher aller Art. Und namentlich kamen die
Spielleute, die zu allem, was es in dieser Zeit gibt, Poetisches und
Banales, Hohes und Kleines, Kaiserliches und Lokales genau so dazu
gehören, wie heute die Jounalistik, deren rechte Vorläufer sie zu einem
Teil ihres vielseitigen Berufs und Wesens sind. Die Spielleute sind die
eigentlichen Stimmungsmacher der Turniere. Von vornherein kommt es für das
Auftreten der Herren in der Feststadt darauf an, ob die Spielleute in
geräuschvolle Bewillkommnung des Einzelnen ausbrechen oder sie in eisiger
Verleugnung nie von ihm gehört haben. denn damals wie heute hat das Wort
"der 'bekannte' so und so" die Zauberwirkung, bei dem Hörer die
Bildungspositur aufzurichten. Und wenn der Betreffende, mit
dessenVortrefflichkeit und Ruhm man wichtig tut, es geschickt angefangen
hat, so pflückt er noch das Lob der persönlichen Bescheidenheit und
Unschuld obendrein. Nach alledem bekamen nicht bloß die unbemittelten
Ritter oder die von ihrer Beute nichts hergeben mochten, sondern auch
solche, die mit einer vornehmeren Sachlichkeit glaubten ohne Spielleute
fertig werden zu können, ihre Lage bald sehr fühlbar zu werden.
Aber die Beteiligung der Spielleute an den Turnieren ist damit bei weitem
nicht erschöpft. sie sind nicht bloß das feinempfindliche Mundstück der
Fama, sondern auch die wirklichen Musikanten, die Bläser und Pfeifer bei
den abendlichen Lustbarkeiten und am Turniertag. Sie sind die Ausrufer,
die man bestellt, die Krigierer oder Kroijierer, Kroyer (vom französischen
crier), die als solche das gedruckte Programm und Namenverzeichnis
ersetzen, das man heute an die Zuschauer verteilt. Mit dieser
gewissermaßen amtlichen Funktion verträgt es sich zu jener, immer noch
viel mehr humoristisch als feierlich aufgelegten Zeit ganz wohl, wenn sie
die Possenmacher bleiben, die mitten zwischen den Rennen herumlaufen und
ihre formelhaften Redensarten vorbringen, ganz wie die Clowns im Zirkus.
So wenig wagte man diesen Leuten auf die Finger zu klopfen, daß man, bei
aller sonstigen Regelrechtigkeit und allem ritterlichen Anstand der
Turniere, es doch duldete, daß die Spielleute zugunsten ihres Helden den
anreitenden Gegner anschrieen: "Wichâ, Hêre, wichâ!", um ihn womöglich zu
verwirren. Beständig sind sie in ihren Hanswursttrachten um die Kämpfer
herum, bald wie ärgerliche Fliegen, bald wieder als rasch beispringende
Helfer. Ganz ungefährlich war das natürlich für sie nicht. Nicht selten
sind versehentlich verwundete oder getötete Spielleute aus den schranken
getragen worden, auch wohl dadurch, daß im Massengefecht, im sogenannten
Feldscharmützel, wovon wir noch zu sprechen haben, der im Helm steckende
Ritter den zu ihm haltenden Spielmann, der an Sattelung oder Rüstung etwas
zurechtrücken wollte, für einen von hinten kommenden Gegner hielt und nach
dem Ungeschützten schlug.
Aber auch mit dem erschöpft sich die Betätigung der fahrenden Leute bei
den Turnieren noch nicht. Durch ihre vielfältige Praxis wußten gerade sie
mit den Turnieregeln und allen Perrsonalien hervorragend gut Bescheid,
nicht anders, um das gute studentische Analogon noch einmal heranzuziehen,
wie die Diener der Verbindungen in einer kleinen Universitätsstadt, die
sich von Kindesbeinen an um "die Herren" gekümmert haben und immer bei
allen Mensuren dabei gewesen sind. Wie sich manche Ritter aus den
Turnieren ihren nbesomderen Beruf, Ihre Spezialität machen, ganz ähnlich
auch manche Spielleute. Sie werden echten "Persevanten" (poursuivants) der
Turnierplätze und bringen ihre Fachkenntnis geschickt zur Geltung. Daher
gehen aus ihnen im Laufe der Zeit , durch die Typisierung alles
Drumunddran, die Wappenherolde und die "Wappendichter" hervor. Als
letztere sollen sie den anwesenden vornehmen und geringen Zuschauern in
sachlicher und amüsanter Weise die Wappen und namentlich die willkürlich
gewählten Abzeichen erklären, welche sich die Wettkämpfer beilegen; die
Dienstleistung als Theaterzettel, die sie zuerst auf eigene Faust geübt
haben, empfängt damit eine amtliche Stilisierung.
Ehe der eigentliche große Turniertag anhob, tummelten sich an den Tagen
vorher die Ritter in Einzelstechen, im Tjostieren, herum. Altertümlich
klingen die dabei verwendeten Rufe, nicht nur, weil man auf das
hergebracht Formelhafte hielt, sondern besonders deswegen, weil die Rufe
aus dem nahezu gänzlich geschlossenen Turnierhelm herauskamen und man
daher starke klingende Vokale brauchte; diese sind es, die den
formelhaften Ritterrufen des späten Mittelalters eine ungesuchte
Verwandtschaft mit der ungebrochenen Tonfülle des verschollenen
Althochdeutsch geben. Mit langhin hallendem
Wânu–, wânu–wâ
Ein Ritter der Tjostierens gêêre?
Der sol komen hêrahêêre...!
forderte der in die Schranken reitende Kämpfer seinen Gegner heraus, und
wie er sich stellte, sprengten die beiden zum "Puneiz", zum Zusammenprall,
aufeinander los. Ursprünglich war das Ziel, den Gegner durch richtig
geführten Stoß auf die Schildnägel (nämlich dort, wo die inneren
Haltriemen des Schildes vernietet waren) oder auch durch den Stoß unters
Kinn, wo der Helm fest auf den Brustpanzer aufgeschraubt war, aus den
Sattel zu werfen. Sodann aber gesellten sich allmählich die mehr
spielerischen Rennen hinzu, bei denen man begnügt war, den entweder runden
oder auch tartschenförmigen, d.h. eckigen Schild des Gegners zu
zersplittern. Zu diesem Zweck, um den Reiter selber vor dem Fallen zu
sichern, wurde der Sattel hochgeschlossen gemacht, auch wohl noch mit
eienr deckenden hohen Vorderwand versehen. Bei dieser verstärkten
Widerstandfähigkeit der beiden Gegner wurde in der Regel eine ganze Anzahl
von Lanzen verstochen, ehe es zu einem Ergebnis kam. Überhaupt brachten
die Ritter einen größeren Vorrat an Speeren mit, und die es am eifrigsten
vorhatten, führten ganze Wagenladungen heran. Während des Rennens waren
die Diener und die zumeist noch besser geünten Spielleute zu Fuß in der
Nähe und brachten auf den lauten Ruf des Herrn: Spêrâ hêêre! neue herbei.
Durch diese Art von Sattel und Rüstung kamen die Ritter zu Gewöhnungen,
die im ernsten Gefecht des Krieges versagen mußten. In der gesunden
staufischen Zeit ahtte man für das Turnier noch die feldmäßige Ausrüstung
gebraucht; im späteren Mittelalter aber wurde eine sachliche und gemäß den
Zeitverhältnissen fortschreitende ritterliche Waffentechnik mehr und mehr
über dem Interesse für die komplizierten Turnierrüstungen und über der
dekorativen Zutat vernachlässigt. Aus Frankreich kam im XV. Jahrhundert
die Sitte des Stechens "übers Diel" – auf oder über die Diele. Das
bedeutet, über eine feste Schranke hinweg, gegen die die Ritter von beiden
Seiten anstürmten, schräg, einander die rechte Seite zukehrend, so daß
also der Moment des Stoßes mit einem geschickten Weglenken zusammenfallen
mußte. Die Lanze hatte, wo die Hand sie hielt, vor dieser einen breitenm
scheibenartigen, kegelförmig nach vorn verlaufenden Aufsatz. Ferner wurde
die Lanze, in der Spätzeit der Turniere, in zwei Haken eingelegt, die vorn
und hinten an der Rüstung befestigt waren, und zwar so, daß bei den
schrägen Einlegen der hintere Haken den Schaft von unten und der
vordereihn von oben aufnahm. Bie dem starken vorderen Übergewicht der
Lanze lag diese dann von selber waagerecht. Durch alles jenes zusammen,
durch die schwere, von der Brust zum Helm vernietete Rüstung, den
gewaltigen Satte und seine Erweiterungen, die fest "eingelegte" Lanze
entstand ein unbeweglicher Reiter, der nur durch die Richtung des Anlaufs,
nicht mehr durch ein freies Zielen den Stoß führen konnte. Die Pferde
waren starke, feurige Hengste. Ihnen wurden in der späteren Zeit auch die
Augen durch die panzernde Stirndecke geschlossen, abgesehen von der
gewöhnlich über den ganzen Kopf und Leib des Pferdes wallenden prächtigen
Decke.
Darauf aber müssen wir verzichten, den modernen Leser noch wieder näher
einführen zu wollen in alle die verwickelten Unterschiede des Tjostierens
und Turnierens, wie sie sich bis zur Zeit Maximilians herausgebildet
haben. Da gibt es, um nur einiges zu nennen, da "gemain Scharffrennen"
(mit kurzer Spitze der Lanzen), das Buntrennen, das Offenrennen, das
geschift Scheibenrennen, das wälsche Rennen in dem Armetin (einer
bestimmten Helmart), das löblich gemain deutsch Stechen (mit dem Krönlein,
der stumpfdreizackigen Lanze), das Stechen im hohen Zeug und im
geschlossenen Sattel, und noch anderes mehr. Nur so viel sei gesagt. Bei
dem "gemeinen deutschen Stechen" handelte es sich schlechtweg darum, den
Gegner aus dem Sattel zu werfen; das "Krönlein" ist die hauptsächlich
deutsche Turnierlanze. Bei dem Scharfrennen kam es darauf an, daß von der
diesmal spitzen Lanze die Tartsche richtig gefaßt wurde und der Reiter zu
Boden stürzte. Das Scharfrennen steht also in der Mitte zwischen dem
Stechen und dem Rennen, da es bei letzterem auf das Wegstechen des
Schildes ankam. Das Geschiftrennen ist wieder eine Abart hiervon, da es
die Tartsche oder auch den kleinen runden Schild so treffen mußte, daß
gewisse Teile davon absprangen.
Auch wenn eine Reihe von Tagen mit Einzelrennen und Einzelstechen
verbracht wurde, so wurden doch diese Tjoste als Wettspiel schon ernsthaft
genommen und waren keineswegs bloß ein Vorüben oder Trainieren. Man muß
die große Anzahl von turnierfähigen Rittern veranschlagen, die sich zu
solchen Gelegenheiten einstellte und dem Einzelnen keineswegs möglich
machte, allzu häufig in den Schranken zu erscheinen. So wird, um nur eine
Ziffer herauszugreifen, die Zahl der zu dem stattlichen Heidelberger
Turnier vom 18. August 1482 anwesenden "Helme" auf 520 angegeben, Fürsten,
Grafen, Freiherren, Ritter und Edelknechte; und die Angaben dieser Art
sind zuverlässig, weil die Meldung und Prüfung der sich zum Kampf
Stellenden genau innegehalten wurde. Seinen Abschluß aber und Höhepunkt
fand das Fest mit dem Tage des feldmäßigen gewesenen, nun stilisierten
Massenturniers.
Zwar auch dieser Tag ließ voraufgehende Einzeltjoste unter den Augen der
ganzen festlichen Versammlung zu, die Hauptsache war aber die Darstellung
eines wirklichen Reitergefechts, eines Feldstechens oder Feldscharmützels.
Mit allem Prunk rtschienen die Herren und Ritter, mit blanker Rüstung,
farbigem Helmschmuck, mit den buntgestreiften oder mit Mustern
ornamentierten Decken über der Rüstung der Pferde, die sich gegen
Maximilians Zeit hin immer mehr vervollständigte. Die Farben der
Pferdedecken entsprachen wohl zuweilen, aber nicht immer den
Wappentinkturen der Familie des Reiters. Hier hatte der einzelne Herr,
ähnlich wie es bei den modernen Farben seiner Jockeis der Fall ist,
Spielraum, die Farben und Abzeichen selber zu wählen. Wir erkennen, daß
man gerne auf hellere, freudigere und grellere Farbe bedacht war, als die
Wappen sie hergaben, und daß man allerhand Symbolik trieb. Namentlich
begegnen als Schmuckmotiv ein und derselbe immer wiederholte, oder auch
zwei abwechselnde Buchstaben auf den Decken, was offenbar auf Wahlsprüche
und Wappendevisen zu deuten ist. Wie nirgends, wurde gerade beim
Deckenschmuck nicht gespart; die besten Künstler der maximilianischen
Zeit, darunter Burgkmair und Cranach, sind zum Entwurf solcher Bilder
zugezogen worden. Da erblicken wir über den Weichen des Rosses einen
zierlichen Amor in das Tuch oder die Seide eingewirkt, ganz so gefesselt,
wie sonst die Gemälde zahllos den heiligen Sebatian darstellen, oder wir
finden das Bild einer Frau mit der bekannten thüringisch-hessischen
Rückenkiepe. Andere wählen Darstellungen aus dem Turnierwesen selbst; die
einen entfalten Humor und setzen zum Abzeichen ihren Amor wieder auf ein
Steckenpferd. an der Lanze, womit er anreitet, flattert vorne eine
Papierwindmühle, wie sie sich Kinder machen; wieder andere kokettierenmit
Herzen und ähnlichen Anspielungen eines sentimentaleren Gemüts. Eine Zeit,
der die Ritterspiele noch immer die höchste Augenweide blieben, hat aus
dem lebendigen Humor heraus, der sie zu den Tagen Maximilians noch
allgemein durchdrang, die Turniere selber schalkhaft parodiert, und durch
derlei entschädigten sich auch die nichtadeligen Kreise. So gibt es
hübsche Malereien und Tischen und Truhen, wo auf der einen Seite die
Ritter in aller Zier und Feierlichkeit tjostieren und auf der anderen die
Bauern mit Harken gegeneinanderreiten, oder wo Wäscherinnen auf einer
runden Tonne im Boot sitzend, mit Waschkorbschildern und Besenstielen,
vorn mit einem Scheiben-"Krönlein" daran, gegeneinanderfahren, während der
Krojierer am Steuer sitzt und sich schon auf die umpurzelnde Tonne freut.
Aus der zum Feldscharmützel antretenden schar, um dahin zurückzukehren,
wurden nach betroffener genauer Vorausbestimmung zwei Parteien unter ihren
"Hauptleuten" gebildet. ein geflochtener Zaun umgab das Kampfgelände;
hinter ihm drängelte sich das geringe Volk, wovon wir noch den Ausdruck
Zaungast in Pflege haben; in anderen Fällen richtete man fester gerammte
Geländer und Balustraden auf. Die Damen und vornehmen Gäste saßen auf
Tribünen. Außer den Marketenderbuden befanden sich solche Zelte in der
Nähe, wo die Kämpfer bandagiert und gewappnet wurden.
Ganz wie im Kriege brachen dann die beiden Scharen durcheinander durch,
und jeder suchte den Gegner, der ihm nach Maßgabe der Aufstellung in den
Weg kam, aus dem Sattel zu stechen. Nach dem ersten Anreiten folgte, wie
beim Errnstgefecht auch, die "Widerkêre", der nochmalige Durchbruch mit
umgekehrter Front. Dieses Hin- und Widerreiten wurde nach Belieben
wiederholt. Im Gegensatz zum Tjost war man übrigens bei diesem
Massenreiten nicht gebunden, sich an einen bestimmten Gegner zu halten,
sondern konnte Freunden zu Hilfe kommen. Außer den Dienern und den
Hanswursten mir ihren bunten, schellenbenähten Trachten befanden sich
innerhalb der Schranken am äußeren Kreise auch die Spielleute, und auf
manchen Darstellungen zeigen sie sich, um der Stattlichkeit willen sogar
beritten gemacht, mit ihren Pfeifen, Klarinetten, Trommeln und
stickereibehangenen Trompeten.
Mit dem Massen-Puneiz brauchte das Turnier keineswegs zu Ende zu sein.
Wenn das Scheinbild des wirklichen Gefechts bis zu Ende abwickelt werden
sollte, wurde es noch durch den Schwertkampf in Gruppen fortgesetzt.
Natürlich wurde auch dieser turniermäßige Massenschwertkampf zu anderen
Zeiten von einzelnen Paaren geübt. Da es nicht auf Verwundungen abgesehen
war,. formte man die Schwerter zu kurzen, schweren und dumpfen
Schlagwaffen um, durch die zuerst die Franzosen das gute scharfe
Schlachtschwert eigens für den Turnierzweck ersetzt hatten, und
schließlich war es die Konsequenz, daß man doch wieder zu den ältesten
aller Waffen, den Kolben griff. Das besondere Ziel dieser Schwerter- oder
Kolbengefechte war, dem Gegner die Helmzier wegzuschlagen. Die Helme waren
hierbei andere, als der nur eine schmale Augenspalte übrig lassende
Stechhelm; man mußte etwas ausgiebiger um sich sehen können, daher war für
dieses Prügelturnier der Helm weit nach vorn vor den Augen ausgebogen und
die Öffnung mit starken Spangen übergittert. Unglückfälle gab es in Menge;
außer dem König II. von Frankreich, der durchs Auge gestoßen wurde, sind
eine ganze Anzahl von fürstlichen Herren in solchen Reiterspielen getötet
worden. Hieraus nahm die Kirche die Begründung zu Verboten der Turnieren,
welche ihrer strengeren Auffassung, namentlich wie sie aufkamen, überhaupt
als Betätigung der Weltlust sehr anstößig waren; sie ist sogar bis zur
Verweigerung des ehrlichen christlichen Begräbnisses gegeangen. Aber noch
niemals ist einem Modesport, der in Mut und Tapferkeit wurzelt und eben
aus ihnen seine Lust erhöht, Einhalt getan worden durch de Hinweis auf
Gefahr oder durch Verbote und angedrohte Strafen; solche Dinge leben sich
nur aus sich selber zu Ende. – Trotz der guten Einübung der Ritter auf die
ganz bestimmte, von der jedesmaligen Turnierart erforderte Stoßweise kamen
natürlich zahlreiche Verfehlungen des Zieles vor, und dann hat nicht immer
der eiserne Schutz seine Schuldigkeit getan. Es sind Ritter von den
konischen Lanzenspitzen des Stechrennens durchbohrt worden, unter anderen
wurde ein Landgraf von Thüringen in den Unterleib gestoßen; viele sind,
obwohl man in den Städten das etwa schon vorhandene Pflaster des zum
Turnierplatz umgewandelten Marktes dick mit Strohmist belegte, durch den
schwer niederprasselnden Fall in der steifen Rüstung oder durch Sturz mit
dem Rosse und dessen Überschlagung zu Schaden gekommen; andere sind in der
engen Hitze der unbeweglichen Polsterung und Panzerung erstickt oder vom
Schlage getroffen worden. In einem einzigen Turnier zu Neuß sollen sechzig
– wenn man auf die weitergehende Angabe hundert verzichtet – ritterliche
Herren umgekommen sein. Die Zahl der Todesfälle im ganzen ist
außerordentlich hoch, und wie ein Chronist sich ausdrückt, umkreisten die
lüsternen höllischen Geister, die mit den beichtlosen Seelen dahinfuhren,
wie Geier und Raben die Plätze der Turniere.
Das vorhin erwähnte Fest bei Augsburg von 1530, dessen Schilderung Hans
Tirol in Holzschnitt gegeben hat, war ein großes Feldscharmützel, ein
Stechrennen mit deutschen Krönlein, dem ein Schwerterkampf nachfolgte.
Außer den Vornehmen und ihrem ritterlichen Gefolge, gutenteils Spaniern,
Italienern und Burgundern, die der fremdländische Kaiser auch gern in
Deutschland um sich hatte, war die neue Truppe, die wirklich maßgebende
Waffengattung der Zeit, durch Landsknechtsfähnlein vertreten, und zum
Salutschießen waren Geschütze herbeigeführt. Zahllos waren Bürger,
Gewerbetreibende, neugieriges Volk herzugeströmt; verschiedentliche
lebendige Kuriositäten waren zu der großen Schaustellung mitgebracht
worden. König Ferdinands Hofzwerg ritt auf einem Kamel; an anderer Stelle
sah man den langen Bauer von Salzburg, der im Stehen so groß war wie ein
Reiter, und neben ihm war der besseren Wirkung wegen der Nickel aus der
Pfalz zu Augsburg aufgestellt, ein mit Turban und Krumnmsäbel türkisch
herausgeputzter Zwerg.
Die beiden jungen Majestäten machten selber in den Rotten oder Geschwadern
des Feldscharmützels mit. Der Kaiser rannte hierbei gegen den Grafen von
La Mirandola; der König, der gegen den Don Diego Vaco stach, stürzte mit
dem Pferd, und der Markgraf von Brandenburg kam ihm zu Hilfe. Zum Schluß
folgte auf das mehrmals wiederholte Stechreiten ein hitziges
Schwertgefecht, bis endlich nach zweistündiger Dauer einschließlich der
notwendigen Ordnungspausen, das Ganz durch die unteren
Überwachungsbeamten, die Grieswärtel, geschieden und in gewohnter Weise
mit Trompeten abgeblasen, auch zum andernmal das Geschütz gelöst wurde.
Nach dem Turnier zog man nach Augsburg zurück, wo die vornehmsten
Teilnehmer Mahlzeit hielten, die nach welscher Manier geordnet war. Zum
allerletzten Ende wurde die "Tantzfreude fürgenommen", nach höflichem
Gebrauch und mit gebührlichem Gepränge, bei fast großem Gedränge des
zusehenden Volkes.
Die Opfer dieses Turniertages bei Augsburg hielten sich in bescheidenen
Grenzen. Einer ward unter dem Scharmützel erschlagen, bei den Salven der
Landsknechte schoß einer den anderen aus Versehen durch den Kopf, ein
Büchsenmacher kam durch unvorsichtiges Laden des Geschützes um, noch einer
ward vom Geschütz tödlich verwundet, ein zuguckender Bauer fiel vom Baum
und blieb tot, "also daß bei fünf oder sechs Personen die Schuld der Natur
bezahlt haben, dero Seelen Gott gnädig sein wolle".
Jahrhundertelang hat das Turnierwesen die über den Werktag hinausgehenden
Lebensgedanken der vornehmeren und ritterlichen Welt erfüllt, auch wohl
ausgefüllt. Und zwischen aller Mühseligkeit und Verschuldung hat man dafür
die Mittel aufzubringen gewußt, wie das ja bei allen sogenannten
Standespflichten immer der Fall ist. Was der bekannte Ulrich von
Lichtenstein als Schlußmotto eines Friesacher Turnier von 1224
hinzugefügt: da mußten sie zu den Juden fahren, das gilt auch von großen
Herren, welche die späteren Turniere veranstalteten, und von vielen, die
sich an ihnen beteiligten. Aber es ist ein kulturgeschichtliches Gesetz,
daß einscheidenden Umwandlungen der sozialen, beruflichen und der
Vermögensverhältnisse immer auch nach gewisser Zeit – wir müssen es
heutzutage durch die Automobile mit Augen, Ohren und allen Sinnen
wahrnehmen – die äußerliche Dokumentierung des eingetretenen Umschwungs
nachfolgen muß, trotz allen sich dawider stemmenden und oft wirklich
vornehmer empfindenden Gegenströungen. Noch im Jahrhundert der
Landsknechte, im XVI., kamen die Turniere zu Ende. Dagegen gelangte nun
der alte Buhurt nnoch wieder zu gewissen Ehren, in den Ringelrennen,
Karussells und Reiterquadrillen der alten Stände, welche im höfischen
Brauch wohl auch als Turniere fortbezeichnet wurden.
Wohl das großartigste "Turnier" dieser Art, tatsächlich ein Ringelstechen,
aber in Tracht und Schmuck des XVI. Jahrhunderts, wurde im August 1800 von
dem schlesischen Adel bei dem Schlosse Fürstenstein, bei der alten Burg
veranstaltet, als Friedrich Wilhelm III. mit der Königin Luise nach
Schlesien kam, um an den großen Manövern bei Schweidnitz und Neiße
teilzunehmen.
Die in vier Geschwader (Quadrillen) geordneten Teilnehmer stachen nach auf
der Stechbahn aufgerichteten Figuren, nämlich vier Römern, die den Ring in
der Hand hielten, vier Bären, die ihn in der Nase trugen, und danach
schlugen sie mit den Schwertern vier Mohren die Köpfe weg und nahmen vier
hölzernen Jungfrauen, gleichfalls mit dem Schwertern, die Kränze weg. Als
am Schluß der König und die Königin die Stechbahn zu Wagen verließen,
bildeten die zu beiden Seiten haltenden Ritter das Festes mit ihren
schräge gehaltenen Lanzen einen Baldachin über den hohen Gästen, und am
Abend fand in dem illuminierten Schlosse ein Maskenball statt, zu welchem
die Ritter auf besonderen Wunsch der Königin wieder in ihren prächtigen
Köstümen erschienen. Ausführlich erzählt hiervon das von den
reichsgräflich v. Hochbergschen (fürstlich Pleßschen) Besitzern der
Herrschaft Fürstenstein angelegten Familienbuch, aus dem mir auf meine
Bitte freundlichst eine Abschrift zur Verfügung gestellt wurde. Es hat
einen eigenen Reiz, die Ranken altdeutscher Wendungen, nach denen man ,für
die Ansprache der Bannerherren suchte, übergrünt zu sehen von der Sprache
der jungen neuen Romantik jener Tage, und aus der schlichten, mehr
aufzählenden Schilderung des Festes die huldigende Ehrerbietung vor der
jungen Königin nachzuempfinden, einer so edlen und hodseligen, wie niemals
eine den knieenden Siegern der alten Turniere den Preis aus ihrer Hand
gespendet hatte.
Quelle: Velhagen & Klasings Monatshefte 1906/07 von Sykr jadu 2002
© Copyright 2002 by JADU
Webmaster